Jahresbilanz 2014 in wechselseitigen Fragen und Antworten zwischen Franz Hainzl (FH) und Laurent Delage (LD).
LD: Was war das für dich bedeutsamste Opernerlebnis mit deinen Künstlern?
FH: In Anbetracht des Jahreswechsels Resumées zu ziehen, ist nicht so recht meine Sache, denn man benachteiligt dabei ungewollt das eine oder andere. Trotzdem muss ich sagen, dass mich dieses Jahr neben Rollendebüts etwa von Cornelia Götz, Lucian Krasznec und Christian Sist und besonderen Projekten von Elisabeth Attl, Heidi Brunner und Alfred Eschwé eine – meines Erachtens karriereentscheidende – Facherweiterung ganz besonders überzeugt hat: Kristiane Kaiser hat sich mit der Diemut in Richard Strauss‘ Feuersnot auf sehr neues Terrain begeben und auf der ganzen Linie überzeugt und gewonnen. Der weitere Weg dieser äußerst gewissenhaften Künstlerin ist gewiss jetzt vorgezeichnet.
FH: Bedeuten die Festtage und der Jahreswechsel für dich einen Moment des Innehaltens? Ziehst du immer ein Jahres-Resumée oder schaust du auch lieber nach vorne?
LD: Die Festtage sind auf jeden Fall eine sehr willkommene Zeit, in der Ruhe und Familienleben Exklusivität haben. So ist es auch bei mir. Es ist ein angenehmes Gefühl, dass wir alle gemeinsam von dem hektischen Alltagsgeschäft auf einmal Abstand nehmen. Ich finde es auch gut, einmal im Jahr einen Rückblick halten zu können. Wenn man feststellen kann, was positiv war, ist es eine Ermutigung, mit Optimismus nach vorne schauen zu können!
LD: Was hat dieses Jahr bei dir Zufriedenheit verursacht? Oder, was hat dich heuer nicht zufriedengestellt?
FH: Es ist mir immer eine wohltuende Genugtuung zu erfahren, dass sich Künstler loyal und korrekt verhalten, obwohl es ihnen in schwierigen Zeiten, leicht gemacht wird, zu glauben, dass das Gras anderswo grüner ist als zu Hause. Ich habe immer die Philosophie vertreten, dass ich den Werdegang von Künstlern mit entwickeln und nach bestem Gewissen beratend begleiten will. Dass diese Überzeugung wertgeschätzt wird, lässt mich letztendlich doch mit dem Erreichten zufrieden sein. Ich glaube, deine zweite Frage beantwortet sich dann von selbst, oder?
FH: Bist du zufrieden mit dem, was du in diesem Jahr erreichen konntest?
LD: Die künstlerische bzw. menschliche Komponente ist für mich genauso so wie für dich nicht Mittel sondern Ziel. Mit mir selbst bin ich selten zufrieden, es macht mich aber doch zufrieden, die Bindung mit einem Künstler festigen zu können, was das gegenseitige Vertrauen stärkt. Das ist die schönste Belohnung. Aber selbstverständlich geht das alles nicht ohne konkrete Erfolge. Und der Weg dazu ist: Harte, kontinuierliche und geduldige Arbeit!
Zum Thema Erfolg möchte ich an dieser Stelle einige Sternstunden, die ich mit meinen Künstlern in diesem Jahr erlebt habe: Anaïk Morels viel beachtetes Debüt bei den Salzburger Festpielen (in Charlotte Salomon), Gabrielle Philiponet in gelungenen Rollendebüts als Violetta (La Traviata) und als Donna Anna (Don Giovanni), Heather Newhouse war berührend als Governess in Brittens The turn oft he screw an der Opéra national de Lyon, Delphine Galou wunderbar in einem Vivaldi-Soloabend in der Salle Gaveau mit Les Musiciens du Louvre Grenoble, Julien Behr fesselnd in Quai Ouest an der Opéra national du Rhin, Reinoud Van Mechelen von entwaffnender musikalischer Herrlichkeit in Daphnis et Eglée mit Les Arts Florissants, um das Rameau-Jahr zu feiern, Sébastien Roulands fulminantes Debüt an der Staatsoper Berlin (Händels Il trionfo del Tempo e del Disinganno), Facundo Agudins vielversprechendes Debüt am Mariinski-Theater (Gounods Faust), Arie van Beeks souverän in einer Uraufführung von Michael Levinas (Le Petit Prince) mit seinem Orchestre de Chambre de Genève in Lausanne, das originale Projekt „Neue Welten“ dirigiert von Nicolas André, Jean-Claude Beruttis wunderschöne Inszenierung von Verdis Ernani in Vilnius, Jan-Schmidt Garres subtile Inszenierung von Korngolds Die tote Stadt in St Gallen, Vincent Boussards tolle, vom Surrealismus stark geprägte Inszenierung von Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny an der Staatsoper Berlin (mit faszinierenden Bühnenbildern von Vincent Lemaire). Es kommen noch dazu großartige Konzerte mit dem hervorragenden, von Alexis Kossenko gegründeten Ensemble Les Ambassadeurs.
Um nach vorne zu schauen, freue ich mich demnächst ganz besonders auf eine Idomeneo-Produktion in Montpellier mit Sébastien Rouland am Pult, Marion Tassou als Ilia und Anna Manske als Idamante; ich freue mich auch sehr, dass in dieser Spielzeit drei meiner Künstler ihr Debüt an der Opéra national de Paris feiern werden: Anaïk Morel (als Siebel in Faust), Julien Behr (als Tamino in Die Zauberflöte) und Sébastien Rouland (Glucks Alceste). Und ich bin gespannt auf La Traviata von Vincent Boussard am New National Theater in Tokyo.
Entschuldigung, dass war ein bisschen zu lang. Schon wieder zu viel Begeisterung!
LD: Was hat dich auf kultureller Ebene abseits der Musik interessiert?
FH: Auch wenn ich Jubel- und Gedenkjahren eher negativ gegenüberstehe, muss ich sagen, dass mich die Auseinandersetzung mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs historisch wie in der kulturellen Vielfalt unmittelbar davor sehr fasziniert hat. Philipp Bloms Buch „Der taumelnde Kontinent“ und auch Christopher Clarks „Die Schlafwandler“ haben mich ungeheuer beeindruckt, daneben auch die Ausstellung auf der Schallaburg und eine kleine, feine Ausstellung zur speziellen Geschichte meiner Heimatstadt Gmünd.
LD: Zum Thema des Ersten Weltkriegs hat mich ein Roman sehr beeindruckt: „14“ von Jean Echenoz.
FH: Du warst 2014 recht viel unterwegs. Worin siehst du die Errungenschaften und Erkenntnisse dieses Jahres, welche Entwicklungen empfindest du für die kommenden Jahre richtungsweisend?
LD: Die Oper lebt, das habe ich in diesem Jahr mit eindrucksvollen Uraufführungen besonders stark empfunden: Charlotte Salomon von Marc-André Dalbavie bei den Salzburger Festspielen, Quai Ouest von Régis Campo an der Opéra national du Rhin, um nur zwei Produktionen zu nennen, die mich zutiefst beeindruckt haben. Die andere Seite der Münze ist allerdings die Zerbrechlichkeit dieser Kunstgattung, die ohne starke öffentliche Unterstützung nicht leben kann. Bedenkliche Signale sind aus den USA gekommen, wo viele große Opernhäuser mit enormen finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert sind. In den USA bekommen Opernhäuser so gut wie keine öffentliche Unterstützung und es kann sehr eng werden, wenn sich Mäzene von heute auf morgen entschließen, sich zurückzuziehen.
In Europa haben wir das Glück, dass Oper öffentlich unterstützt wird. Aber wie lange noch? In einer Zeit, in der das öffentliche Geld knapp wird, stellt man diese Unterstützung immer wieder in Frage. Wozu diese teuren Opernhäuser, meinen politische Instanzen auf immer bedrohlichere Art, sogar in Opernländern wie Italien, Deutschland und Österreich! Musik ist eine heilige Kunst“, plädiert der Komponist in Strauss’ Ariadne auf Naxos. Oper erzählt menschliche Komödien und Tragödien auf einzigartige und wunderbare Art, Oper verbindet Apollo und Dionysos, wie Nietzsche schön schrieb, Oper sublimiert das Erlebnis, ein Mensch zu sein. Man darf auch nicht vergessen, dass Oper eine wahrhaftig europäische Kunstgattung ist, ein Kulturerbe also, das seine Wurzeln im griechischen Altertum hat. Oper sollte weiterhin entschieden und kraftvoll unterstützt werden.
LD: Eine lustige Geschichte, die du dieses Jahr selber erlebt hast?
FH: Fällt mir jetzt spontan keine ein und was mir einfällt, sollte man besser nicht veröffentlichen … bin ich humorlos?
LD: Humorlos warst du nie, auch nicht als wir heuer eineinhalb Stunden gemeinsam im Aufzug steckten! Eine lustige Erinnerung meinerseits: Die Faszination meines 7-jährigen Sohnes, als er in der Künstlergarderobe beobachten durfte, wie sich die Hexe inHänsel und Gretelihre hässliche, pickelige Nase entfernt und langsam wieder zu einem Menschen und dann auch noch zu einem Mann wird. Vom Theater zurück in die Realität! Das kann genauso faszinierend sein wie umgekehrt.
LD: Möchtest du einen Wunsch äußern?
FH: Als Mensch des Gesangs und der Bühne würde ich mir mehr Offenheit hinsichtlich der Bandbreite des Repertoires und der Interpretation wünschen. Außenstehenden vermittelt das musikalische Theater oft den Eindruck des elitär Musealen, das immer dasselbe produziert, dem gilt es entgegenzuwirken. Natürlich müssen die Theater gefüllt werden, um rentabel zu sein und es ist einfacher mit beispielsweise Carmen als mit Chowanschtschina einen Saal zu füllen. Dennoch freut es mich besonders, dass etwa das Theater an der Wien vor unserer Haustür mit Rarem von Rameau oder Tschaikowskij ausverkauft ist, auch wenn die meisten Besucher zuvor wahrscheinlich nicht einmal die Titel kannten. Auch mehr Unvoreingenommenheit gegenüber der Art des Interpretationsstils würde ich mir wünschen. Ganz abgesehen natürlich von Erfolg und glücklicher Weiterentwicklung unserer Künstler, zu der wir sicher das Bestmögliche beitragen wollen. Auch wenn unser Betätigungsfeld über die Jahre nicht eben leichter geworden ist.
LD: Die numerische Revolution hat unseren Beruf gründlich verändert und als Folge davon auch die Beziehung zwischen Theaterleitungen und Agenten. Jeder kann heute behaupten, er sei Agent, weil jeder E-mails an die Casting-Direktoren senden kann, wodurch diese mit mehr oder weniger interessanten Informationen überflutet werden. Als Ergebnis davon - und das ist durchaus verständlich - verschanzen sich die Casting-Direktoren in ihrem Elfenbeinturm. Die große Herausforderung an uns Künstlermanager besteht darin, sich ihr Vertrauen und Interesse durch wertvolle, passende Informationen, Ideen und Vorschläge sorgsam zu erhalten. Mein Wunsch ist, dass sie für uns ein Ohr offen halten. In verlässlicher Arbeitspartnerschaft sollten wir zugunsten des Bestehens der von uns allen mit so viel Leidenschaft vertretenen Kunstgattung zusammenwirken.
FH: Ein tolles Schlusswort, das ich mit voller Überzeugung mit dir unterschreibe!